Das “R“-Wort geht um

Deutschland dürfte im laufenden Quartal in eine Rezession zurückfallen. Panik ist aber an den Börsen kein guter Ratgeber, Geduld ist nun gefragt.

Wer seit der vergangenen Woche auf den Autobahnen unterwegs war, konnte es regelrecht sehen: Der Verkehr auf Deutschlands Straßen, auch auf Bundes- und Landesstraßen, beruhigt sich zusehends. Jetzt wird fast jede Fahrt, die nicht ins Büro oder zurück angetreten werden muss, vorher noch einmal auf ihre Notwendigkeit überprüft. Und ein Tempolimit ist bei 2,20 Euro je Liter Super E10 nicht mehr nötig, wer 140km/h fährt, wird auf der Autobahn nicht mehr so oft überholt. Die galoppierenden Energiepreise bremsen die Deutschen aus. Und mit ihnen ihre Wirtschaft.

Noch wird es in den Medien ganz verschämt erwähnt, das “R“-Wort, die drohende Rezession. Wenn niemand zuschaut, wird es jedoch schon kräftig “gegoogelt.“ Das legt eine Grafik auf Basis der Angaben in “Google Trends“ nahe. Mit dieser Funktion lässt sich wunderbar beobachten, wie häufig ein Begriff oder Suchwort von den Teilnehmern derzeit im Internet abgerufen wird. Die Kurve für das Suchwort “Rezession“ steigt richtig steil an.

Auch bei den Ökonomen macht sich Unruhe breit. Die Meinungen sind geteilt, doch das Pendel neigt sich zunehmend in Richtung Rezession. Denn schon im 4. Quartal 2021 legte die Wirtschaft den Rückwärtsgang ein. Und jetzt ziehen die Energiepreise so scharf an, dass sie die Mobilität der Deutschen beeinträchtigen und den Konsum zügeln. Hinzu kommen erneut unterbrochene Zulieferketten, von der Autobranche über die Stahlindustrie bis hin zur Bautätigkeit und der Halbleiterproduktion. In der Logistikbranche wird zudem wegen der hohen Dieselpreise vor einem Kollaps vieler kleiner Unternehmen gewarnt – und in der Folge vor möglichen Versorgungsengpässen, die wirtschaftliche Tätigkeit zusätzlich drosseln werden.

Führende Wirtschaftsforscher sprechen bereits offen über einen Rückfall in die Rezession, auch weil die Wirtschaft noch nicht die Folgen der Corona-Pandemie verkraftet hat. “Mit dem Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Ukraine ist ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts und eine technische Rezession sehr wahrscheinlich geworden“, sagt Stefan Kooths, der Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. DIW-Präsident Marcel Fratzscher erwartet als Folge des Ukraine-Krieges nicht nur eine Rezession, sondern hält auch eine Inflation bis zu zehn Prozent für denkbar.

Im Essener RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung veranschlagt Konjunkturchef Torsten Schmidt die Wahrscheinlichkeit einer Rezession auf 90 Prozent. Der ehemalige Chef des Rentenfondsmanagers “Pimco“ und Professor an der Wharton School der University of Pennsylvania, Mohamed El-Erian, sagt Europa ein Abrutschen in die Rezession vorher. Er rät den Regierungen im Westen, Konjunkturprogramme aufzusetzen.

Die größte Gefahr geht dabei nicht von den vom Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Volkswirtschaften in Russland und der Ukraine aus, obgleich deren wirtschaftliche Tätigkeit jeweils um etwa ein Drittel schrumpfen soll – die Ukraine vor allem wegen der Kriegszerstörungen, Russland wegen der Sanktionen, dem teilweisen Ausschluss von SWIFT und dem Einfrieren der Guthaben der Zentralbank.

Den größten Bremseffekt haben dafür die eskalierenden Energiepreise, die gestörten Lieferketten und die Inflation. Als zusätzlichen Preistreiber fürchtet man unter den Ökonomen auch die Nahrungsmittel bzw. deren Grundlagen (die Ukraine hat einen Anteil von 8,5% am weltweiten Weizenexport, Russland sogar 19,7%; Quelle: Statista).

Die Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft wurden bereits gestutzt. Treffen die Voraussagen für eine Rezession mit einem erneuten BIP-Rückgang im ersten Quartal 2022, das Ende März ausläuft, zu, dann hätte das weitreichende Folgen nicht nur für Investitionen, die die Unternehmen zurückstellen, sondern auch für den Arbeitsmarkt und für das Steueraufkommen des Staates, dem es immer schwerer fällt, die nötigen Mittel für wichtige Ausgaben aufzutreiben.

An den Börsen geht das ganze Drama nicht spurlos vorüber. Dort sorgen die anziehende Inflation, die gestörten Lieferketten und die anstehende Zinswende seit Jahresbeginn für Konsternierung und für Kurskapriolen. Der DAX ist bereits auf den tiefsten Stand seit November 2020 gefallen. An den US-Börsen haben auf Monatsbasis zyklische Konsumwerte knapp 16 Prozent, Finanztitel rund 11 Prozent und Technologie-Werte knapp 14 Prozent verloren.

Für die Notenbanken, vor allem die Fed, die mit der anstehenden Zinswende – bei der Fed dürfte der Startschuss am 16. März fallen – den Preisauftrieb eindämmen wollen, wird die Gratwanderung zwischen dem Bremsen der Inflation und einem Abwürgen der angeschlagenen Konjunktur jetzt noch viel kniffliger. Sie könnten wegen der Rezessionsaussichten die avisierten Zinsschritte behutsamer einleiten und damit beim Kampf gegen die Inflation schwach dastehen, was die sozialen Spannungen erhöhen könnte. Oder sie könnten bei ihrem Versuch, im Kampf gegen die Inflation ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren, die Börsen noch weiter auf Talfahrt schicken.

Für Anleger gilt daher: Keine Panik, aber genaues Beobachten, Geduld und Vertrauen auf bewährte Investment-Profis, vor allem Value-Investoren, die Aktien mit Substanz und Widerstandskraft herauspicken, um das Depot zu festigen.


Von Dirk Dürhager

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